Die einundzwanzigste Geschichte (d)einer Essstörung

Eine weitere mutige Frau, die ihre Geschichte mit uns teilt:

„Du bist schon anders auf die Welt gekommen“ meinte meine Mutter, als ich zwölf Jahre alt war.

Schon früh hatte ich Depressionen und begann mit elf Jahren, mich selbst zu verletzen – und in meinem dreizehnten Lebensjahr trat die Essstörung in mein Leben.
Ich war als Kind immer etwas mollig. Als ich dreizehn war wog ich zwanzig Kilo zu viel. Ich beschloss von einem Moment auf den nächsten: „Ich möchte in diesem Körper nicht mehr leben!“ Danach geriet mein ständiges Kalorienzählen schnell außer Kontrolle. Ich aß über Monate zwischen 100 und 500 Kalorien täglich und nahm so 30 Kilo ab.

Dann begannen die Essanfälle. Relativ schnell bestand mein Alltag aus mehrmaligem einkaufen, essen und erbrechen. Ich wog mich vor dem essen, nach dem essen, nach dem Erbrechen und zusätzlich morgens, abends und kurz vor dem schlafen. Nach einem Klinikaufenthalt nahm ich alles wieder zu und begann wieder von vorn – verlor diesmal 40 Kilo. Mein Gewicht schwankte in den folgenden Jahren in einer Zehnkilo-Spanne hoch und runter während ich von anorektischen in bulimische Phasen stolperte und zwischendurch auch mal tagelang sehr viel aß, ohne zu erbrechen.

Zwischendurch beschloss ich das Leben aufzugeben und landete im Krankenhaus.

Ich bin vor einigen Monaten zwanzig geworden. In den letzten Tagen aß ich sehr wenig, heute hatte ich zwei Essanfälle. Mein Gewicht ist seit zwei Monaten bei 25 Kilo Übergewicht stehengeblieben und obwohl meine Wahrnehmung nicht mehr so verzerrt ist wie früher kann ich mich so nicht akzeptieren … und alles beginnt wieder von vorn .
Ich weiß, dass ich ein hübsches Gesicht habe und dass ich ein liebenswerter Mensch bin und der Mann mit dem ich mich in der letzten Zeit treffe, findet mich auch mit Übergewicht schön. Doch ich habe 5 von 7 Tagen die Woche nicht den Mut das Haus zu verlassen weil meine Sachen mir nicht mehr passen und ich Angst vor den Blicken meiner Mitmenschen habe.

In den sieben Jahren in denen die Essstörung mich begleitet, habe ich es drei Monate am Stück geschafft, ohne darüber großartig nachdenken zu müssen  – genug – doch nicht zuviel zu essen. In dieser Zeit war ich auf der offenen Station einer Klinik weit weg von Zuhause und habe mit sehr fähigen Therapeuten und Pädagogen viel aufarbeiten können.

Ich bin mir sicher, dass ich es schaffen kann, wieder zu diesem Punkt zurück zu gelangen. Aber ich habe Angst vor dem unglaublich langen Weg der mich erwartet.

Ein Tipp an alle Angehörigen: Nein, wir können nicht einfach „aufhören“, so seltsam zu essen. Nein, auch wenn wir das behaupten, schaffen wir es nicht ohne Hilfe aus außer Kontrolle geratenen essgestörten Mustern. Und NEIN, wir sind nicht gewollt in diese Essstörung geraten und um Aufmerksamkeit geht es uns auch nicht.

Wo findest du dich in dieser Geschichte wieder und was nimmst du daraus mit?

Das Aufschreiben und Veröffentlichen deiner eigenen Geschichte hilft dir und anderen!

Schicke mir die Geschichte deiner Essstörung an info@lebenshungrig.de und ich veröffentliche sie hier anonym.

lebenshungrige Grüße

Simone