Steffis Weg raus aus der Essstörung, rein ins Leben Teil 11:
2014 war das Jahr der Balance

Hier findet ihr die ersten zehn Teile von Steffis Geschichte

Nun ist ein ganzes Jahr vergangen, seit ich für euch meinen monatlichen Eintrag schreibe. Viel ist seitdem passiert; für mich und bestimmt auch für euch. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um zurückzublicken.

Für mich war 2014 das Jahr der Balance. Dies wird erst so richtig klar, wenn man sich die Jahre davor und meinen Kampf mit der ES anschaut:

2012 war das Jahr der Erkenntnis, das Jahr in dem jeder Tag eine einzige Achterbahnfahrt war. Die ES kontrollierte mein Leben, und erst nach dem Eingeständnis an mich selber realisierte ich, wie tief die Probleme eigentlich verankert waren. Ich wusste, dass ein langer Weg vor mir liegt.

Im darauffolgenden Jahr waren die Hoch und Tief’s nicht mehr ganz so extrem, ich dachte ich hätte langsam alles verstanden. Rückblickend jedoch sehe ich, dass mein Gedanken und Verhalten auch dann noch „gestört“ waren. Denn ich lebte weiterhin meine „Schwarz oder Weiß“ – Mentalität aus, hatte Phasen wo es mir richtig gut ging und dann wieder Phasen wo ich mich total gehen ließ. Da ich ja weiterhin sehr auf meine Ernährung achte und Sport ein wichtiger Teil meines Lebens ist, war es sehr leicht „abzurutschen“ und mich zu intensiv mit diesen Themen zu beschäftigen.

2014 war dann das Jahr indem klar wurde, dass ich einen für mich richtigen Mittelweg finden muss um langfristig glücklich und zufrieden zu sein. Den richtigen Mittelweg zwischen einer leidenschaftlichen Beschäftigung mit der Ernährung und dem Sport als Ausgleich und persönliche Challenge, das ist gar nicht mal so einfach. Wie sieht diese Balance in Praxis aus? Ich habe zum Beispiel immer mehr die Angst vor bestimmten Lebensmitteln abgelegt. Ich habe angefangen wirklich zu essen, bis ich satt bin. Es zählt immer mehr, wie ich mich nach dem Essen emotional fühle und nicht nur was ich gegessen habe. Es kann also sein, dass ich ein Stücke leckere Geburtstagstorte esse und mich danach zufrieden und glücklich fühle, weil ich einen tollen Moment mit Freunden geteilt habe. Früher wäre dieser Moment noch von der Tatsache, dass ich etwas scheinbar ungesundes gegessen habe, überschattet worden. Ich sage nicht, dass ich nicht mehr auf meine Ernährung achte. Aber ich denke dass ich entspannter geworden bin. Das Problem liegt ja nicht darin was ich esse, sondern was das Essen emotional in mir aufwirft. Und die Wettervorhersage berichtet immer weniger Wirbelwind und stattdessen Sonne in den Tropen.

Ein weiterer Aspekt, den ich zwar schon lange verstanden habe, mit dem ich aber weiterhin zu kämpfen hatte, ist dass die „Stärke“ meiner ES in enger Korrelation zu meinem Stresslevel steigt und fällt. So sehr die Essstörung mit der eigenen Körperwahrnehmung und dem Selbstbewusstsein zu tun hat, so sehr dient sie auch als „coping mechanism“, also als Bewältigungs – Mechanismus gegen Stress. Für die Uni lernen, Arbeiten, Familie & Freunde; all die Dinge die mir Freude bereiten können mir gleichzeitig meinen letzten Nerv rauben und mich dazu verleiten, Komfort und Trost im Essen zu suchen. Essen betäubet die Gefühle und lässt mich für ein paar Minuten dem Stress entkommen. Für mehrere Jahre war dies meine Routine, und erst jetzt beginne ich so richtig diesen Teufelskreis zu durchbrechen und meine Gefühle stattdessen frontal anzugehen. Ich denke, das wird nie ganz weggehen und ich werde immer dazu verleitet sein, in schwierigen Lebenslagen auf Eis, Haribo & Co. zurückzugreifen. Aber darauf bin ich vorbereitet und anstatt dagegen zu arbeiten, arbeite ich mit meiner Essstörung und versuche in diesen Zeiten noch mehr Selbstliebe und Achtsamkeit zu üben.

Welche Erkenntnisse könnt ihr vom letzten Jahr bzw. den letzten Jahren ziehen? Was habt ihr daraus gelernt, und wie sieht der Blick nach vorne für euch aus?