Kathrins Genesungsweg Teil 8: innerer Zwang

Bei mir gab es nie eine konkrete Stimme, mit der ich in Kontakt treten konnte und die mich in einen Anfall geführt hat, sondern es war vielmehr ein Teil von mir, der sich überhaupt nicht orten ließ. Ich konnte nicht sagen, was mich genau zum Über-Essen trieb, es war bei mir eher ein innerer Zwang, dem ich nicht nachgeben konnte, der sich Macht über mich nahm, jeden Tag (teilweise mehrfach). Seitdem ich die Essstörungen abgelegt habe, kam der Zwang nicht wieder, auch nicht leise.

Vor kurzer Zeit bekam ich erneut ein interessantes Jobangebot, das mich überraschte und meinem Ego geschmeichelt, mich aber auch sofort ein wenig unter Druck gesetzt hat, dennoch war es eigentlich die perfekte und logische Fortsetzung meiner „Karriere“ und so sagte ich zu. Ich unterzeichnete den Vertrag, der eigentlich überhaupt nicht meinen Bedingungen entsprach und mein Umfeld zeigte sich sehr zufrieden alá „Jetzt ist endlich wieder etwas Sicherheit da“, „Glück gehabt, so ein Angebot bekommen nicht allzu viele“ und Fragen, wie ich denn so etwas habe „ergattern“ können.

Ich spürte noch am selben ersten Arbeitstag, dass es mir nicht mehr gut ging, meine Stimmung war ähnlich schlimm wie an meinem früheren Arbeitsplatz. Und zum ersten Mal war der Zwang  ganz still, aber beständig wieder da und suchte sich seinen Platz in meinem Leben – Unterschied zu früher: Ich konnte mich ihm widersetzen. Der für mich fühlbare und wirkliche Erfolg: Ich konnte ihn nun ernst nehmen und am nächsten Tag kündigen. Und direkt im gleichen Augenblick, als ich diesen Entschluss fasste, war der Zwang fort. Früher hätte bzw. habe ich in schwierigen Situationen ausgeharrt, mich als Teil der Situation gesehen, für die es etwas im Leid zu lernen gibt, eine Erfahrung, die mich vielleicht weiterbringen könnte. Heute weiß ich, dass manchmal das Lernen in dem Augenblick beginnt, in dem man innehält, die Pause-Taste drückt und sich einfach mal von außen betrachtet, quasi das Hamsterrad in dem man sitzt, durchleuchtet und schaut, wo genau es hakt – systematisch und in Einklang mit den eigenen Gefühlen.

Mir wurde bewusst dass ein Teil, der mich in die Essstörungen getrieben hat, mein Gefühl war, ich habe es nicht verdient glücklich zu sein oder die absurde Angst, wenn es mir zu gut ginge, mir etwas zustoßen könne. Deswegen glaubte ich, dass alle Schwierigkeiten an mich gesandte Aufforderungen waren, mich zu hinterfragen und mich mit ihnen zu arrangieren. Das habe ich mir zur Aufgabe gemacht.  Je mehr ich mich aber arrangierte und ungesunde Lebensbedingungen in Kauf nahm, mich engagierte und verantwortlich fühlte, umso zwanghafter und schlimmer wurden früher mein Verhalten, bzw. die Essstörungen. Insofern war es nicht verwunderlich, dass ich meine Essstörung über 10 Jahre akzeptiert habe, versuchte mich mit ihr zu arrangieren und mich nie richtig, nie tiefgründig mit ihr auseinandersetzen konnte. Ich hatte es nicht verdient ein glückliches Leben zu führen und erst als ich mich fast überhaupt nicht mehr wehren konnte, ich sie wirklich gar nicht mehr „im Griff“ hatte, kam mein Tiefpunkt. Erst als ich wieder glücklich werden wollte und ich meine Lage erkannt habe, in die mich mein Denken geführt hat, konnte ich aktiv etwas für mich tun.

Nun weiß ich, dass mich mein weiterer Weg nicht einmal im geringen Maß mehr in die angestrebte Karriererichtung führen wird, vermutlich nie mehr. Ich habe mich entschieden, für mich und meine Gesundheit einzustehen, wenn nötig auch gegen Widerstände. Diese sind überdies nicht so schwer ausgefallen, als dass ich mich hätte fürchten müssen, aber ich wäre bereit gewesen mich ihnen zu stellen und nie wieder meine Gesundheit zu opfern.