Die neunzehnte Geschichte (d)einer Essstörung

Eine weitere mutige Frau, die ihre Geschichte offen mit uns teilt:

Ich bin 17 und habe seit meinem 14 Lebensjahr Bulimie mit anorektischen Phasen.

Die Essstörung hat allerdings schon viel früher begonnen. Meine Eltern haben sich oft gestritten, viele Erinnerungen an meine Kindheit enden im Streit. Als kleines Mädchen musste ich immer zwischen meinen Eltern vermitteln. Mein Vater ist einmal fremdgegangen, meine Mutter hat mich, damals 4 Jahre alt, vorgeschickt um ihn wieder zurück zu holen.
Wenn ich an meine Kindheit denke, habe ich auch schöne Erinnerungen mit Freunden aber nie mit meinen Eltern. Für die zählte immer nur das Materielle. Liebe und Zuneigung und über Gefühle reden kannte ich bis jetzt nicht.

In der Schule war ich gut, aber im laufe der Zeit wurde ich immer mehr gemobbt. Ich fing mit 10 Jahren alles in mich rein zu fressen, auch Essen. Zuhause war keiner der dies kontrolliere. Ich habe alles in mich rein geschlungen. Ich nahm immer weiter zu, bis ich mit 13 Jahren auf 95 kg war.

Damals durfte ich an den PC meines Vater, natürlich ohne Kontrolle. Ich meldete mich in einem Internetforum an und lernte einen Mann kennen. Ich fing ihm an zu vertrauen, erzählte ihm sehr viel über mein Leben. Er sagte immer dass ich gut aussehe, endlich jemand der mich so mag wie ich bin! Wenn es schon kein anderer Mensch tut. Nach einiger Zeit traf ich ihn, es endete in einer Vergewaltigung. Er wusste alles von mir, ich nur sein Spitznamen. Aus Angst machte ich alles für ihn.

In den nächsten Monaten fing ich an mein Essen zu erbrechen, erst nur die großen Mahlzeiten, einmal in der Woche. Irgendwann wurde aus einmal in der Woche, jeden Tag, alle Mahlzeiten, selbst einen Apfel. Ich nahm schnell ab, jeder sagte mir wie toll ich aussehe. Doch dies wollte ich nicht hören, ich wollte dass mich jemand versteht und sieht was er mit mir macht!
Ich nahm immer weiter ab. Nach einem 3/4 Jahr nach dem der Missbrauch anfing, wog ich 69 kg. Warum ich das so genau weiß? Ich stellte mich nie auf die Waage, ich hatte keine. Aber ich wurde gewogen im Krankenhaus, nach meinem Suizidversuch. Nur keiner verstand meine Sprache. Es ging weiter. Ich nahm weiter ab, ich versuchte meine Gefühle und Gedanken einfach nur weg zu kotzen.

Ein Jahr später, mit 15 Jahren brachte ich 43 kg auf die Waage. Ich wechselte die Schule und nahm dies als Neuanfang, ich versuchte an mir zu arbeiten, bekam Unterstützung von Freunden beim Essen. Ende 2013 brachte ich wieder 58 kg auf die Waage, aber die Bulimie war nie weg, genauso wie das andere. Denoch war ich wieder im Leben, ich hatte einen festen Freund. Es war wie ein Höhenflug, ich nahm weiter zu. Ich dachte, die Bulimie wäre weg.

Mitte 2014 schaffte ich es weg zu ziehen, in eine andere Gegend, weg von ihm. Ein neues Leben fing an mit 70 kg!

Dachte ich…

Tag für Tag fiel ich mehr und mehr in Depressionen, versuchte immer wieder Diäten, erfolglos. Ich kam nicht von den 70kg weg. Die Erinnerungen und die Angst wurden immer größer. Vor Weihnachten nahm ich 2kg ab. Neujahr, wieder nahm ich mir vor mein Leben zu ändern, nie wieder zu erbrechen, nie wieder eine Diät, nie wieder mutwillig abnehmen. Doch die Gedanken an die letzten drei Jahre kommen immer häufiger zurück, sie laufen mir hinter her wie ein Schatten den nicht die Sonne trifft.

Angst und Panik jeden Tag und jede Sekunde in meinem Leben, das Gefühl versagt haben, das Gefühl kein Recht auf Leben zu haben wird größer. Immer öfter schlaflose Nächte, immer weniger Mahlzeiten. Die Spirale dreht sich immer mehr, in einem Monat habe ich nun sieben Kilo abgenommen. Ich erbreche kaum noch, aber viel Essen tue ich auch nicht mehr. Die letzten Jahre wollte ich so oft neu anfangen, heute weiß ich, dass werde ich nie können, denn meine Vergangenheit werde ich niemals ändern können.

Aber ich habe nun eine Person gefunden die mir Kraft gibt, Kraft zu Leben. Sie nimmt mich an die Hand, kämpft mit mir und für mich. Auch wenn es viele Momente gab, wo ich aufgegeben habe und oft dem Tod von der Schippe gesprungen bin, irgendetwas will, dass ich Lebe. Für mich fängt jetzt ein steiniger, langer und schmerzhafter Weg an, wo ich oft an meine Grenzen kommen werde aber ich kann hoffen, hoffen auf eine neue Chance im Leben. Psychologen haben mich aufgegeben in Sachen selbstverletzendem Verhalten, Depressionen und Essstörung aber dass will ich nicht hin nehmen, denn irgendwann möchte ich ohne Essstörung leben.

Wenigstens nur noch einmal Essen genießen können!

Wo findest du dich in dieser Geschichte wieder und was nimmst du daraus mit?

Das Aufschreiben und Veröffentlichen deiner eigenen Geschichte hilft dir und anderen!

Schicke mir die Geschichte deiner Essstörung an info@lebenshungrig.de und ich veröffentliche sie hier anonym. 

lebenshungrige Grüße

Simone