Die siebenunddreißigste Geschichte (d)einer Essstörung

Eine weitere mutige Frau, die ihre Geschichte mit uns teilt:

Essen. Kalorien. Gewicht. Meine Gedanken drehen sich jeden Tag darum, ständig, und es ist nie still in meinem Kopf. Ich bin gefangen, eingesperrt und unglücklich. Gedanken ums Essen und alles was damit zu tun hat, bestimmen mein Leben. Zahlen auf der Waage bestimmen ob ich einen guten oder schlechten Tag habe.

Zusätzlich die Schuldgefühle. Weil ich doch alles habe. Glücklich sein müsste. Schuldgefühle weil ich Kinder habe und trotzdem nicht gesund bin. Das macht es in meinen Augen nämlich noch schlimmer, verwerflicher, macht mich schwächer und zu einer schlechten Mutter.

Der Anfang liegt viel weiter zurück.

Ich hab ja schon immer zu viel gegessen. Besonders viele Süßigkeiten und Chips, Fastfood und Fertigzeug. Schon als Kind hab ich Heißhunger darauf gehabt und hab regelmäßig den Kühlschrank geplündert. Essen war Liebesersatz, Trostspender.

Aber irgendwann war das nicht genug. Ich wollte gesehen werden, etwas bestimmen und auch etwas fühlen. Ich habe dann schon mit 15 das erste mal monatelang gehungert. Von heute auf morgen hab ich meine Nahrung angefangen zu reduzieren. Zu diesem Zeitpunkt war ich nicht dick, nicht mal pummelig.

Aber es hat mir das Gefühl gegeben etwas Besonderes zu schaffen, etwas, dass andere nicht schaffen. Irgendwann fiel es dann in der Schule auf und dann auch meiner Mutter. Gedanken hat sie sich nicht gemacht, sie hat es einfach wieder als eine Macke abgetan. Ich konnte es ihr eh nie recht machen, egal was ich versucht habe. Also versuchte sie mich zu zwingen wieder zu essen. Aber so einfach war das nicht. Ich steckte schon zu lang drin und ekelte mich vor dem Essen. Also landete ich in der Klinik und wurde vorerst als gesund entlassen.

Ich frag mich oft, wann es eigentlich so wichtig geworden ist, makellos auszusehen. Perfekt zu sein nach Außen hin… Wann fing das Essen und mein Aussehen an, mein Leben so zu bestimmen? Denn während meiner Ausbildung als ich mein eigenes Geld verdient habe, wurde ich immer dicker.

Ich aß einfach viel zu viel und irgendwie aß ich ständig. Immer und überall. Hunger kannte ich fast nicht. Ich habe immer wieder versucht abzunehmen, scheiterte aber schnell wieder. Dann kam das erste Kind und noch mehr Kilos. Am Ende hatte ich über 30 Kilo Übergewicht. Vor zwei Jahren dann die Wende. Ich wurde krank, eine Lungenembolie aufgrund der Anti Baby Pille, in Kombination mit dem Übergewicht. Plötzlich hatte ich Todesangst!

Also setzte ich die Pille ab und fing eine Diät an. 1200 Kalorien am Tag. Nach 7/8 Monaten hatte ich 35 kg abgenommen und mein absolutes Wohlfühlgewicht erreicht. Das war ein ganz neues Lebensgefühl. Aber damit kam auch die Angst, wieder zuzunehmen. Und dann kam dazu noch der Appetit auf all das Ungesunde. Zudem war es kurz vor Weihnachten. Überall gab es Leckereien und das ein oder andere Mal konnte ich nicht widestehen. Irgendwann kam der Tag wo ich probierte, einen gegessenen Schokoladenweihnachtsmann wieder los zu werden. Das klappte erstaunlich gut und es schien die Lösung zu sein. Essen können was man mag, Gewicht halten! Perfekt!!!

Leider war das eine Abwärtsspirale. Ziemlich schnell bin ich da ganz schön tief rein gerutscht. Extra dafür einkaufen, ständig ans Essen denken, kaum widerstehen können, finanzielle Probleme…

Aber dann wurde ich schwanger. Ich hörte sofort damit auf, aß aber weiterhin all das Verbotene. Damit konnte ich nicht aufhören. Ich nahm wieder 20 kg zu, diese mussten wieder runter. Also mache ich Diät seit mein Baby drei Monate ist. Diesmal gesünder, mehr Kalorien und zwischendurch mal was gönnen – so der Vorsatz. Jetzt ist sie sieben Monate und 13 kg sind jetzt runter. Mit der Diät kamen auch wieder die Heißhunger Attacken. Noch nicht wieder so schlimm, aber ich habe wieder gebrochen.

Jetzt kämpfe ich um den endgültigen Absprung. Denn wenn ich eines weiß, dann, das ich diese Gedanken ums Essen, Kalorien, Zunehmen und Abnehmen nicht mehr in meinem Leben will. Jeden Morgen kritische Blicke in den Spiegel und Angst vor der Waage. Ich will mich davon nicht mehr bestimmen lassen. Jetzt hab ich die zuckerfreie Ernährung eingeführt. Vielleicht entkomme ich so dem Heißhunger. Das mit dem etwas Gönnen leg ich auch erstmal auf Eis, denn das wirft mich augenscheinlich immer zurück. Aber ich gebe nicht auf und klammere mich sehr an die Vorstellung irgendwann wirklich frei zu sein.

Wo findest du dich in dieser Geschichte wieder und was nimmst du daraus mit?

Das Aufschreiben und Veröffentlichen deiner eigenen Geschichte hilft dir und anderen!

Schicke mir die Geschichte deiner Essstörung an info@lebenshungrig.de und ich veröffentliche sie hier anonym.

lebenshungrige Grüße

Simone