Die neunundsiebzigste Geschichte (d)einer Essstörung

Eine weitere mutige Frau, die ihre Geschichte mit uns teilt:

Ich bin mein lebenlang schon ein emotionaler Esser, wenig Selbstbewusstsein von Kindheit an,
meine Mutter hat sich für mich geschämt und mich wegen meines Gewichtes immer unter Druck gesetzt.

Andererseits, wenn vom Mittagessen noch Sachen übrig waren, hat sie sie auf meinen Teller geschoben.

So grob umrissen ist das meine Kindheit, geprägt von Unsicherheit und Zweifeln, viel Streit und eher wenig Zuneigung. Schlecht hatte ich es nicht, aber es fehlte viel Liebe und dafür gab es viel Zurechtweisung. Das ist zu komplex, um es aufzuschreiben.

Ich habe immer wieder Diäten gemacht, die erste mit 13 Jahren, aber ich habe lange Jahre nicht gewusst, warum ich nicht aufhören kann zu essen. Ihr kennt das sicher, man ist motiviert abzunehmen, das ist dann aber ratzfatz wieder weg, sobald sich der kleinste Misserfolg aufzeigt. Dieses Gefühl, sein Essverhalten nicht unter Kontrolle zu haben, nicht aufhören können zu essen ist unbeschreiblich. Dieser Selbsthass danach oder auch schon während des Essens.

Ich habe teilweise richtig viel abgenommen, bis zu XX kg, aber es nie halten können, dann kam dieser Automatismus wieder.

Ich habe gegessen wenn es mir gut ging, wenn es mir schlecht ging, wenn ich gestresst war.. immer. Ich mochte zeitweise gar keine Schokolade essen und habe mir trotzdem welche gekauft und sie verschlungen. Für das Wochenende habe ich soviel Essen gekauft damit ich auf jeden Fall für Sonntag genug hatte, bloß genug Vorrat haben, wie bei einem Raucher der nervös wird, wenn er nur noch eine angebrochene Packung Zigaretten hat.

Durch verschiedene Problemsituationen, Mutter krank und gestorben, Vater krank und gestorben, keine Chance auf Kinder, verunfallt, schlimme Beziehung gehabt etc., war ich vor ca. 2 Jahren so am Ende das ich gedacht habe, ich muss mir jetzt Hilfe holen. Ansonsten fresse ich mich zu Tode oder erledige das auch schon vorher. Ich hatte schon lange erkannt das, wenn ich meinen Problemen nicht auf den Grund gehe, ich niemals eine Gewichtsreduktion dauerhaft schaffe.

Also habe ich mich aufgerafft und eine Therapie begonnen, um Sachen aufzuarbeiten.

Vorher habe ich mich 2 Monate aus meinem Leben ausgeklinkt, um eine Weltreise zu machen, das hat mir sicherlich das Leben gerettet. Ist bestimmt nicht für jeden was bzw. konnte ich mir das nur leisten, da meine Eltern mir etwas vererbt haben, aber es hat mir geholfen, mich von der ungesunden Partnerschaft zu befreien. Dies war der erste Schritt.

In der Therapie habe ich irgendwann nach einem Jahr erkannt, dass ich tatsächlich eine Essstörung habe. Ich habe einiges erklärt bekommen bzw. sehr an mir gearbeitet und dann war der Moment da, wo ich mein Leben verändern wollte. Ich habe 2 Wochen lang gefressen wie ein Schwein, leider passt die Umschreibung ganz gut, dann habe ich 8 Tage nichts gegessen, dann meine Ernährung umgestellt.

Es ging ca. 9 Monate sehr gut, sehr diszipliniert, aber dann hat die Therapie aufgehört und es fing wieder an, mir zu entgleiten. Ich habe ca. XX kg abgenommen, leider wieder ein paar Kilo drauf, diese versuche ich zu reduzieren bzw. mein Gewicht zu halten. Das habe ich vorher noch nie getan und es ist ein furchtbarer Kampf. Ich bin im Kopf immer noch eine sehr dicke Frau im Körper einer nicht mehr ganz so dicken Frau, aber ich bemühe mich, denn ich fühle mich gut gerade.

Immer noch zuviel Gewicht, Therapie setze ich fort denn ich schaffe das noch nicht alleine, aber ich habe das Gefühl, es wird besser. Ich werde immer viel über Essen nachdenken, ich werde mich immer disziplinieren müssen, aber ich habe es immerhin erkannt und ich hoffe, es wird irgendwann leichter, denn ich möchte das, was ich jetzt habe nicht verlieren, wieder agiler und
lebensfroher zu sein, reiten zu können, eine gewisse Fitness aufgebaut zu haben, denn ich bewege mich so viel wie möglich, um diesen schlimmen Fressattacken wenigstens etwas entgegenzusetzen. Denn wenn ich diese habe, gerade letzte Woche wieder 3 Tage lang, dann esse ich, bis mir schlecht wird.

Ich hoffe, ich resigniere nicht irgendwann, drückt mir die Daumen!

Wo findest du dich in dieser Geschichte wieder und was nimmst du daraus mit?

Das Aufschreiben und Veröffentlichen deiner eigenen Geschichte hilft dir und anderen!

Schicke mir die Geschichte deiner Essstörung an info@lebenshungrig.de, ich veröffentliche sie anonym.

lebenshungrige Grüße

Simone