Über die Sucht nach Negativität

Vor einigen Tagen habe ich die Kommode meines Büros entrümpelt und dabei bin ich auf einen interessanten „Schatz“ gestoßen. Es handelt sich um einen Tagebucheintrag aus dem Februar 1998. Einige Monate danach hatte ich mein „kleines, inneres Erwachen“ und seit dem bin ich komplett frei von meiner Essstörung.

Doch an diesem 26. Februar 1998 war ich sehr verzweifelt und wollte mich verbal auskotzen in dem ich ein neues Tagebuch begann.

In meiner Kommode habe ich jedoch nicht das komplette Tagebuch entdeckt, sondern nur diesen einen ersten Eintrag den ich – warum und wann auch immer – aus dem Buch herausgerissen habe. Was diese Blätter heute für mich so wertvoll macht, ist folgender Satz:

Ich bin noch so süchtig danach, es mir schlecht gehen zu lassen!

Als ich diese Aussage nach über 20 Jahren wieder las, hat er mich regelrecht umgehauen. Denn er bringt meine wahre Sucht so sehr auf den Punkt…

In diesem Tagebucheintrag erkläre ich auch diesen Schlüsselsatz, der während der damaligen Semesterferien entstand. Davor hatte ich Klausurenzeit und es ging mir richtig dreckig, denn ich hatte mir neben der Essstörung auch noch eine ordentliche Portion Prüfungsangst zugelegt. Alles drehte sich um das Lernen und innerlich hing mein Leben vom Ergebnis meiner Klausuren ab. Selbstverständlich ertrug ich diesen Druck nur mit Druckabbau durch die Bulimie. Und die ganze Zeit dachte ich: „Wenn doch endlich die Klausurenzeit vorbei wäre, dann…“

Doch als das Semester dann hinter mir lag, wurde es nicht besser und ich fand andere Möglichkeiten, mich zu quälen und zu verurteilen. Ich fixierte mich zum x-ten Mal auf meinen Körper und bezeichnete mich als blas, fett und hässlich. Jetzt hing mein Leben innerlich mal wieder von der Waage und vom Spiegel ab. Mein neues, altes Mantra lautete: „Wenn ich doch nur endlich dünner (schöner/gebräunter) wäre, dann…“

Ich fühle mit mir

Wenn ich diese Zeilen heute lese habe ich großes Mitgefühl mit meinem damaligen Ich.

Warum bist du so gemein zu dir?

würde ich mein früheres Ich gerne fragen und sie darauf hinweisen, was sie mit sich macht, wie sie mit sich selbst redet, wie sie sich behandelt.

Kannst du denn nicht erkennen, dass dein Denken (über dich) die einzige Problemzone ist, die du tatsächlich hast?

Doch ich kenne auch die Antworten:

Sie konnte es damals noch nicht komplett sehen.

Sie hatte schon viele einzelne Puzzle-Teile zusammengetragen, doch noch ergaben diese kein schlüssiges Gesamtbild.

Bis sie es einige Monate später erkannte, das Bild zusammenfügte und sich alles veränderte.

Negativitäts-Nahrung

Doch bis das passierte, habe ich meine „Sucht nach Negativität“ so gefüttert:

  1. Mein Fokus lag auf dem Negativen.

  2. Das Negative wog immer schwerer als das Positive.

  3. Mein Selbstwertgefühl war extrem gering.

  4. Meine Ansprüche an mich waren enorm hoch.

  5. Ich kannte nur schwarz oder weiß, ganz oder gar nicht.

Zu Demonstrationszwecken kehre ich noch mal zu meiner Studienzeit zurück:

  1.  Mein Fokus lag auf dem, was ich glaubte noch lernen zu müssen und ich schaute nie auf das, was ich schon gelernt hatte.
  2.  Schrieb ich beispielsweise in vier Klausuren eine eins und in einer Klausur eine drei, konnte ich mich kaum über die Einsen freuen, mich jedoch sehr über die eine Drei ärgern.
  3. Ich hielt – auch intellektuell – nicht allzu viel von mir und fürchtete, irgendwann als „Hochstaplerin“ entlarvt zu werden.
  4. In der unbewussten Hoffnung, mich dann endlich gut genug zu fühlen, erwartete ich Höchstleistungen.
  5. Ich glaubte, permanent lernen zu müssen und Schlaf, Vergnügen und Entspannung ausblenden, übergehen oder verschieben zu können.

Ohne es zu wollen tat ich im Grunde alles dafür, der Negativität zu viel Gewicht zu geben.

Wie hätte das gut gehen sollen?

Denn wer permanent Negativität säht, kann nur Negativität ernten!

Auch wenn ich schon sehr lange keine Essstörung habe, so habe ich doch in einigen Bereichen noch immer die Tendenz, das Glas eher halbleer als halbvoll zu sehen.

Immer wenn ich eine innere Unruhe, ein Unwohlsein und Druck verspüre, finde ich heute zunächst den Auslöser heraus und hinterfrage seinen Wahrheitsgehalt:

Entspricht das was ich glaube tatsächlich der Realität?

Und dann schaue ich, ob ich die Situation ändern kann, oder meine Einstellung zu dieser Situation.

Außerdem richtige ich meinen Fokus bewusst auf all die Dinge, die da sind, die „funktionieren“, die ich schon habe, etc. Dankbarkeit macht innerlich wirklich satt und sorgt dafür, vom Mangel in die Fülle zu gelangen.  Dann schaue ich, wie mich mein Körper durch Bewegung oder bewusste Atmung beim Prozess des Druckabbaus unterstützen kann. Wenn ich das Bedürfnis habe zu reden und ich den Austausch zu gehen, ermögliche ich mir genau das. Und ich frage mich, was ich mir jetzt Gutes tun kann, was ich tatsächlich gerade brauche und das tue ich dann auch.

Erst dann widme ich mich dem sogenannten Problem. Wenn es zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch eins ist…

Gib dem Positiven in deinem Leben bewusst mehr Gewicht,
so bringst du deine innere Waage leichter in die Ausgeglichenheit!

lebenshungrige Grüße

Simone