So habe ich die Bulimie erlebt

Die Bulimie (Bulimia Nervosa) war die zweite Essstörung die ich hatte. Und ich würde sie heute auch als meine „Haupt-Essstörung“ bezeichnen.

Das Ende einer Beziehung führte zum Ende der Magersucht.

Und ich erinnere mich noch sehr genau an diesen bodenlosen Schmerz, dem ein Gefühl von abgrundtiefem Versagen folgte.

Heute weiß ich, dass sich in mir so viel (emotionaler) Druck aufgebaut hatte, dass die Bulimie die „logische Konsequenz“ der Magersucht war. Denn kennzeichnend für die Ess-Brech-Sucht ist, innerhalb kürzester Zeit Unmengen von eigentlich verbotenen Nahrungsmitteln in sich rein zu stopfen (Aufbau von Druck), nur um sie danach wieder auszubrechen (Abbau von Druck).

Lange Zeit habe ich mich vor mir selbst geekelt und mich zutiefst für dieses Verhalten geschämt. Doch heute weiß ich, dass die Bulimie der verzweifelte Versuch war, all diesen seelischen Druck in einen körperlichen Umzuwandeln, weil ich nicht in der Lage war, mich anders auszudrücken.

Das Trügerische an der Bulimie ist zu glauben, man habe sie im Griff. Als ich das erste Mal die Kontrolle über mein Essverhalten verlor und wahllos Unmengen in mich hineinfrass, war ich entsetzt. Und als dann die Idee in meinem Kopf auftauchte, dass ich mir doch einfach den Finger in den Hals stecken könnte, erleichterte mich dieser Gedanke. Damals war ich bereit, jeden Preis zu zahlen um nur nicht zuzunehmen. Nichts fürchtete ich so sehr, wie ein Plus auf der Waage.

Was Bulimie war, wusste ich damals nicht. Doch ich erinnere mich noch daran, dass ich so etwas wie eine innere Warnung wahrnahm. Diese intuitive Stimme sagte mir: „Das kann kein gutes Ende nehmen…!“ Doch auf diese innere Stimme hörte ich schon lange nicht mehr. Den Kontakt zu mir selbst hatte ich bereits verloren.

Während es also anfangs nur ab und zu passierte, wurde das Fressen und Kotzen sehr schnell mein neues Normal. Nicht ich hatte die Bulimie im Griff, die Bulimie hatte mich im Griff.

Bulimie

Heute kann ich sagen, dass es wichtig für mich war, in die Bulimie zu kippen. Auch wenn sich das damals ganz anders anfühlte und ich mir das Hungern zurück wünschte. Doch während ich als Magersüchtige glaubte, dass ich alles unter Kontrolle hätte, wußte als Bulimikerin zumindest ein Teil von mir, dass das nicht der Fall war. Denn die Bulimie kostet enorm viel. Vor allem Lebensqualität und Geld. Und letztlich natürlich auch die körperliche Unversehrtheit.

Denn langfristig kann die Bulimie zu einer Reihe körperlicher Schäden führen:

  • angeschwollene Speicheldrüsen und wunde Mundwinkel
  • durch die Magensäure angegriffener Zahnschmelz
  • Schleimhautentzündungen des Magens und der Speiseröhre
  • gestörter Elektrolythaushalt, der zu Herzrhythmusstörungen und/oder Verstopfung führen kann
  • gerät Magensaft in die Luftwege, besteht Erstickungsgefahr oder man kann eine Lungenentzündung bekommen.
  • Ausbleiben der Menstruation
  • ein noch nicht geborenes Kind kann im Mutterleib bleibende Schäden davon tragen.

Während ich durch die Magersucht in Erklärungsnot geriet, weil die Lebensmittel noch da waren, geriet ich durch die Bulimie in Erklärungsnot, weil plötzlich so viele Nahrungsmittel verschwanden. Und auch das Kotzen stellte mich vor ein weiteres Problem. Denn es sollte natürlich niemand mitbekommen, auf welch unnatürliche Weise ich das Essen immer häufiger loswurde.

Die Bulimie isoliert. Es braucht Zeit, gezielt einzukaufen, heimlich zu fressen und unauffällig zu kotzen. Und deshalb war es auch nur eine Frage der Zeit, bis meine Mutter mich im Bad erwischte…

Wie fühlt es sich an, Bulimie zu haben?

Das haben Veronika und ich im Video „Tagesablauf einer Essgestörten“ dargestellt.